BGH: Erlöschen der Hauptlizenz führt nicht zum Erlöschen von Unterlizenzen
Mit Entscheidung vom 19.07.2012 (Az. I ZR 70/10) hat der Bundesgerichtshof ein wegweisendes Urteil im Bereich des Urheberrechts gefällt, das für viele Unternehmen von großer wirtschaftlicher Bedeutung ist.
So entschied der für Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat, dass das Erlöschen einer Hauptlizenz im Regelfall nicht zum Erlöschen daraus abgeleiteter Unterlizenzen führt. Damit schaffte der Bundesgerichtshof insbesondere für den Fall der Insolvenz des Hauptlizenznehmers nunmehr Rechtssicherheit für Unterlizenznehmer.
Dem Fall lag u.a. folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin hatte als Inhaberin ausschließlicher Nutzungsrechte an dem Computerprogramm „M2Trade“ gegen den Insolvenzverwalter einer Unterlizenznehmerin wegen unbefugter Nutzung des Programms u.a. auf Schadensersatz geklagt. Die Unterlizenznehmerin hatte das einfache Nutzungsrecht von der Hauptlizenznehmerin, die wiederum Nutzungsrechte gegen Zahlung von Lizenzgebühren von der Klägerin erhalten hatte, erworben. Da die Hauptlizenznehmerin jedoch ihrer Verpflichtung zur Zahlung der Lizenzgebühren nicht nachkam, hatte die Klägerin die Kündigung des Lizenzvertrags erklärt. Die Klägerin vertrat nun im Rahmen des Prozesses die Ansicht, aufgrund der Kündigung des Lizenzvertrags mit der Hauptlizenznehmerin, seien auch die abgeleiteten Nutzungsrechte einschließlich das der Unterlizenznehmerin an sie zurückgefallen. Die Unterlizenznehmerin habe das Programm daher nach der Kündigung des Lizenzvertrags unbefugt genutzt und hieraus zum Schadensersatz verpflichtet.
Zu Unrecht, wie der Bundesgerichtshof feststellte. Im gewerblichen Rechtsschutz gelte der Grundsatz des Sukzessionsschutzes. Dieser besagt unter anderem, dass Nutzungsrechte wirksam bleiben, wenn der Inhaber des Rechts wechselt, der das Nutzungsrecht eingeräumt hat.
Der I. Zivilsenat hat insoweit eine Güter- und Interessenabwägung vorgenommen und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Interesse des Hauptlizenzgebers dadurch gewahrt sei, dass er sich nach dem Erlöschen der Hauptlizenz den Anspruch des Hauptlizenznehmers auf Zahlung von Lizenzgebühren gegen den Unterlizenznehmer abtreten lassen könne. Der Unterlizenznehmer hingegen würde im Falle des Wegfalls der Nutzungsrechte unangemessen benachteiligt, da er derartige Sachverhalte weder beeinflussen noch vorhersehen könne. Die wirtschaftlichen Nachteile könnten schließlich zur Vernichtung der Existenz führen, da er auf den Bestand der Lizenz angewiesen sei.
Die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs lautet wörtlich:
„Nr. 120/2012
Bundesgerichtshof zum Fortbestand von Unterlizenzen
beim Erlöschen der Hauptlizenz
Der u.a. für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass das Erlöschen einer Hauptlizenz in aller Regel nicht zum Erlöschen daraus abgeleiteter Unterlizenzen führt. Der Bundesgerichtshof hatte sich in zwei Verfahren mit dieser Thematik zu befassen, die von großer wirtschaftlicher Bedeutung ist, weil bislang das Schicksal der Unterlizenz im Falle der Insolvenz des Hauptlizenznehmers umstritten ist.
In dem einen Rechtsstreit geht es um die Nutzungsrechte an einem Computerprogramm:
Die Klägerin ist Inhaberin ausschließlicher Nutzungsrechte an dem Computerprogramm „M2Trade“. Sie hat einem anderen Unternehmen (Hauptlizenznehmerin) gegen fortlaufende Zahlung von Lizenzgebühren Nutzungsrechte an der Software eingeräumt. Dieses Unternehmen hat seinerseits einem dritten Unternehmen (Unterlizenznehmerin) – unter Einschaltung eines weiteren Unternehmens – ein einfaches Nutzungsrecht an dem Programm eingeräumt. Die Klägerin hat der Hauptlizenznehmerin, nachdem sie von ihr keine Zahlungen mehr erhalten hatte, die Kündigung des Lizenzvertrages zum 30. Juni 2002 erklärt. Der Beklagte ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Unterlizenznehmerin.
Die Klägerin ist der Ansicht, aufgrund der Kündigung des Vertrages mit der Hauptlizenznehmerin sei nicht nur das ausschließliche Nutzungsrecht der Hauptlizenznehmerin an dem Computerprogramm an sie zurückgefallen, sondern auch die davon abgeleiteten Nutzungsrechte einschließlich des der Unterlizenznehmerin eingeräumten einfachen Nutzungsrechts. Der Beklagte habe das Programm daher seit dem 1. Juli 2002 unbefugt genutzt und damit das daran bestehende Urheberrecht verletzt. Die Klägerin hat den Beklagten unter anderem auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben.
In dem anderen Verfahren geht es um das Verlagsrecht an einer Komposition:
Die Klägerin ist Inhaberin der weltweiten Nutzungsrechte an der Komposition „Take Five“ des Komponisten Paul Desmond. Sie räumte einem Musikverlag die ausschließlichen Musikverlagsrechte für Europa ein. Die Hauptlizenznehmerin räumte der Rechtsvorgängerin des Beklagten die ausschließlichen Subverlagsrechte für Deutschland und Österreich ein. Im Jahr 1986 vereinbarte die Klägerin mit der Hauptlizenznehmerin, dass sämtliche gegenseitigen Verpflichtungen aus dem Verlagsvertrag betreffend das Musikwerk „Take Five“ beendet sind.
Die Klägerin ist der Ansicht, mit der Aufhebung des Hauptlizenzvertrages und dem Erlöschen der Hauptlizenz sei auch die Unterlizenz des Beklagten erloschen. Die Klägerin hat unter anderem die Feststellung beantragt, dass der Beklagte nicht mehr Inhaber der Musikverlagsrechte an dem Werk „Take Five“ für Deutschland und Österreich ist. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen.
Der Bundesgerichtshof hat in beiden Verfahren die Revision der jeweiligen Klägerin zurückgewiesen.
Der Bundesgerichtshof hat bereits mit dem Urteil „Reifen Progressiv“ vom 26. März 2009 (I ZR 153/06, BGHZ 180, 344) in einem Fall, in dem der Hauptlizenznehmer dem Unterlizenznehmer ein einfaches Nutzungsrecht gegen Zahlung einer einmaligen Lizenzgebühr eingeräumt hatte und die Hauptlizenz aufgrund eines wirksamen Rückrufs des Nutzungsrechts durch den Urheber wegen Nichtausübung (§ 41 UrhG) erloschen war, entschieden, dass das Erlöschen der Hauptlizenz nicht zum Erlöschen der Unterlizenz führt. Er hat nunmehr entschieden, dass das Erlöschen der Hauptlizenz auch in den Fällen nicht zum Erlöschen der Unterlizenz führt, in denen der Hauptlizenznehmer dem Unterlizenznehmer ein einfaches Nutzungsrecht gegen fortlaufende Zahlung von Lizenzgebühren („M2Tade“) oder ein ausschließliches Nutzungsrecht gegen Beteiligung an den Lizenzerlösen („Take Five“) eingeräumt hat und die Hauptlizenz nicht aufgrund eines Rückrufs wegen Nichtausübung, sondern aus anderen Gründen erlischt – wie hier aufgrund einer wirksamen Kündigung des Hauptlizenzvertrages wegen Zahlungsverzugs („M2Trade“) oder aufgrund einer Vereinbarung über die Aufhebung des Hauptlizenzvertrages („Take Five“).
Im gewerblichen Rechtsschutz und im Urheberrecht gilt der Grundsatz des Sukzessionsschutzes (§ 33 UrhG, § 30 Abs. 5 MarkenG, § 31 Abs. 5 GeschmMG, § 15 Abs. 3 PatG, § 22 Abs. 3 GebrMG). Er besagt unter anderem, dass ausschließliche und einfache Nutzungsrechte wirksam bleiben, wenn der Inhaber des Rechts wechselt, der das Nutzungsrecht eingeräumt hat. Zweck des Sukzessionsschutzes ist es, das Vertrauen des Rechtsinhabers auf den Fortbestand seines Rechts zu schützen und ihm die Amortisation seiner Investitionen zu ermöglichen. Eine Abwägung der typischerweise betroffenen Interessen ergibt – so der Bundesgerichtshof -, dass das vom Gesetz als schutzwürdig erachtete Interesse des Unterlizenznehmers an einem Fortbestand der Unterlizenz das Interesse des Hauptlizenzgebers an einem Rückfall der Unterlizenz im Falle des Erlöschens der Hauptlizenz in aller Regel überwiegt. Das Interesse des Hauptlizenzgebers ist weitgehend gewahrt, da er den Hauptlizenznehmer nach dem Erlöschen der Hauptlizenz auf Abtretung seines Anspruchs gegen den Unterlizenznehmer auf Zahlung von Lizenzgebühren in Anspruch nehmen kann. Der Fortbestand der Unterlizenz beim Wegfall der Hauptlizenz führt damit nicht zu der unbilligen Konsequenz, dass der nicht mehr berechtigte Hauptlizenznehmer von Lizenzzahlungen des Unterlizenznehmers profitiert und der wieder berechtigte Hauptlizenzgeber leer ausgeht. Der Unterlizenznehmer kann die Ursache für die außerordentliche Auflösung des zwischen dem Hauptlizenzgeber und dem Hauptlizenznehmer geschlossenen Vertrags und die vorzeitige Beendigung des früheren Nutzungsrechts regelmäßig weder beeinflussen noch vorhersehen. Er würde durch den vorzeitigen und unerwarteten Fortfall seines Rechts oft erhebliche wirtschaftliche Nachteile erleiden, die sogar zur Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz führen können, wenn er auf den Bestand der Lizenz angewiesen ist.
Urteil vom 19. Juli 2012 – I ZR 70/10 – M2Trade
LG Potsdam – Urteil vom 20. Juli 2006 – 2 O 120/05
OLG Brandenburg – Urteil vom 30. März 2010 – 6 U 76/06
und
Urteil vom 19. Juli 2012 – I ZR 24/11 – Take Five
LG München I – Urteil vom 17. März 2010 – 21 O 5192/09, juris
OLG München – Urteil vom 20. Januar 2011 – 29 U 2626/10, juris
Karlsruhe, den 19. Juli 2012″
Quelle: Pressemitteilung BGH Nr. 120/2012 v. 19.07.2012