IT-Recht aktuell

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)

1. Hintergrund / Zielsetzung

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) setzt den European Accessibility Act (EAA, Richtlinie (EU) 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen) in deutsches Recht um. Zweck des EAA ist es, die in den einzelnen EU / EWR Ländern geltenden unterschiedlichen Barrierefreiheitsanforderungen für bestimmte Dienstleistungen und Produkte zu vereinheitlichen. Menschen mit Behinderungen soll ein unabhängiges Leben erleichtert werden. Der EAA fördert die wirksame und gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen durch Verbesserung des Zugangs zu Alltagsprodukten und -dienstleistungen. Auch andere Gruppen wie bspw. ältere Menschen sollen vom EAA profitieren.

2. Ab wann tritt das BFSG in Kraft?

Das BFSG tritt am 28. Juni 2025 in Kraft. Damit müssen alle Produkte und Dienstleistungen, die in den räumlichen und sachlichen Anwendungsbereich des BFSG fallen (dazu nachfolgend) und nach dem 28. Juni 2025 in Verkehr gebracht oder erbracht werden, die Anforderungen des deutschen BFSG und der Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz vom 25. Juni 2022 erfüllen (BFSGV). Die Verordnung konkretisiert die Anforderungen aus dem BFSG und nennt zudem technische Standards. Die BFSGV tritt ebenfalls zum 28. Juni 2025 in Kraft.

3. Was gilt für ältere Produkte und Dienstleistungen?

Für Produkte und Dienstleistungen, die vor dem 28. Juni 2025 auf den Markt gebracht oder erbracht wurden, sieht § 38 BFSG eine Übergangsbestimmung vor.

Vor dem 28. Juni 2025 geschlossene Verträge über Dienstleistungen dürfen bis zu dem Ablauf der Zeit, für die sie eingegangen sind, allerdings nicht länger als bis zum 27. Juni 2030 unverändert fortbestehen. Werden im Rahmen von Dienstleistungen Produkte genutzt, die vor dem 28. Juni 2025 rechtmäßig eingesetzt wurden, dürfen diese ebenfalls bis zum 27. Juni 2030 weitergenutzt werden.

Selbstbedienungsterminals dürfen bis zum Ende ihrer wirtschaftlichen Nutzungsdauer, aber nicht länger als fünfzehn Jahre nach ihrer Ingebrauchnahme, weiter zur Erbringung vergleichbarer Dienstleistungen eingesetzt werden.

In Verkehr bringen bedeutete die erstmalige Bereitstellung eines Produkts auf dem Unionsmarkt (Art. 3 Nr. 16 EEA; § 2 Nr. 10 BFSG).

4. Für welche Produkte und Dienstleistungen gilt das BFSG?

Produkte

Das BSFG gilt für folgende Produkte, die nach dem 28. Juni 2025 gegenüber Verbrauchern in Verkehr gebracht werden:

  • Zahlungsterminals und zu diesen gehörige Hard- und Software
  • Selbstbedienungsterminals, die zur Erbringung der im BFSG genannten Dienstleistungen bestimmt sind, nämlich Geldautomaten, Fahrausweisautomaten, Check-In-Automaten, interaktive Selbstbedienungsterminals zur Bereitstellung von Informationen (Ausnahme: Terminals, die in Fahrzeugen, Luftfahrzeugen, Schiffen oder Schienenfahrzeugen integriert sind)
  • Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für Telekommunikationsdienste verwendet werden
  • Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten verwendet werden
  • E-Book-Lesegeräte

Dienstleistungen

Das BFSG gilt für folgende Dienstleistungen, die für Verbraucher nach dem 28. Juni 2025 erbracht werden:

  • Telekommunikationsdienste (Ausnahme: Übertragungsdienste zur Bereitstellung von Diensten der Maschine-Maschine-Kommunikation)
  • Bestimmte Elemente (Webseiten, mobile Anwendungen, elektronische Tickets und Ticketdienste, Reiseinformationen in Echtzeit, etc.) von Personenbeförderungsdiensten im Luft-, Bus-, Schienen- und Schiffsverkehr (Ausnahme: Stadt-, Vorort-, Regionalverkehrsdienste. Für diese gilt das BFSG nur bei interaktive Selbstbedienungsterminals, es sei denn sie sind integrierte Bestandteile von Fahrzeugen, Schiffen, etc.).
  • Bankdienstleistungen für Verbraucher
  • E-Books und zugehörige Software
  • Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr

5. Welche Akteure sind grundsätzlich von den Pflichten des BFSG betroffen?

Von den Pflichten des BFSG sind folgende Akteure im B2C-Bereich betroffen:

  • Hersteller
  • Einführer
  • Händler
  • Dienstleistungserbringer

Im B2B-Bereich gilt das BFSG nicht.

6. Müssen auch Kleinstunternehmen das BFSG beachten?

Das BFSG gilt nicht für Kleinstunternehmen, die Dienstleistungen anbieten oder erbringen. Kleinstunternehmen sind Unternehmen, die weniger als 10 Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz bzw. Jahresbilanz 2 Mio. Euro nicht überschreitet.

Doch Vorsicht! Diese Ausnahmeregelung (§ 3 Abs. 3 BFSG) bezieht sich nur auf Dienstleistungen, nicht auf Produkte. Kleinstunternehmen, die Produkte herstellen oder in Verkehr bringen, müssen folglich die Regelungen des BFSG umsetzen.

7. Welche Verpflichtung ergibt sich allgemein aus dem BFSG?

Gemäß § 3 Abs. 1 BFSG müssen Produkte, die ein im Sinne des BFSG genannter Akteur auf dem Markt bereitstellt und Dienstleistungen, die er anbietet oder erbringt, barrierefrei sein. Barrierefrei meint, dass sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Hürden und grds. ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.

Die konkreten Anforderungen an die Barrierefreiheit sind derzeit in Anhang I zum EEA zu finden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist in Deutschland ermächtigt worden, diese Anforderungen im Rahmen einer Rechtsverordnung gesondert zu regeln und bspw. die Gestaltung, Zugänglichkeit etc. zu regeln.

8. Welche Pflichten muss ein Dienstleistungserbringer nach dem BFSG erfüllen?

Dienstleister, bei denen es sich nicht um Kleinstunternehmen handelt, dürfen ihre Dienstleistungen nur anbieten oder erbringen, wenn

  • die Dienstleistung die Barrierefreiheitsanforderungen nach der noch zu erlassenden deutschen Rechtsverordnung erfüllt
  • er die Informationen nach Anlage 3 Nr. 1 erstellt hat und diese Informationen für die Allgemeinheit in barrierefreier Form zugänglich gemacht hat.

Anlage 3 Nr. 1 sieht insoweit vor, dass der Dienstleister in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder auf andere deutlich wahrnehmbare Weise angibt, wie die Barrierefreiheitsanforderungen der noch zu erlassenden Rechtsverordnung erfüllt werden.

Neben den nach Art. 246 EGBGB zu erfüllenden Informationspflichten (u.a. Eigenschaft der Ware, Identität, Gesamtpreis, Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen, Bestehen des Mängelhaftungsrechts, etc.) beim Verbrauchervertrag, müssen auch folgende Informationen zur Verfügung gestellt werden:

  • eine allgemeine Beschreibung der Dienstleistung in einem barrierefreien Format
  • Beschreibung und Erläuterung, die zum Verständnis der Dienstleistung erforderlich sind
  • Beschreibung, wie die Dienstleistung die einschlägigen Barrierefreiheitsanforderungen erfüllt
  • Angabe der zuständigen Marktüberwachungsbehörde

Der Dienstleister muss gewährleisten, dass der die geforderten Barrierefreiheitsanforderungen stets erfüllt. Er muss bei Nichterfüllung erforderliche Korrekturmaßnahmen ergreifen und die zuständigen Marktüberwachungsbehörden informieren. Er ist verpflichtet, diesen Auskunft zu erteilen und mit diesen zu kooperieren.

9. Welche allgemeinen Pflichten muss ein Hersteller im Sinne des BFSG erfüllen?

Hersteller dürfen die im BFSG genannten Produkte gemäß § 6 BFSG nur in den Verkehr bringen, wenn

  • das Produkt die Barrierefreiheitsanforderungen erfüllt
  • die technische Dokumentation nach Anlage 2 erstellt wurde
  • das geforderte Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt wurde
  • die Konformität des Produkts mit den geltenden Anforderungen nachgewiesen wurde
  • der Hersteller eine EU-Konformitätserklärung ausgestellt hat
  • die entsprechende CE-Kennzeichnung angebracht wurde.

Hersteller müssen die technische Dokumentation und die Konformitätserklärung für die Dauer von fünf Jahren in schriftlicher oder elektronischer Form ab Inverkehrbringen aufbewahren. Die Konformität ist auch bei Serienanfertigungen sicherzustellen. Der Hersteller hat darüber hinaus Korrekturmaßnahmen vorzunehmen, wenn er Grund zur Annahme hat, dass ein Produkt den Anforderungen nicht gerecht wird. Kann der Hersteller die Konformität nicht herstellen, muss der Hersteller das Produkt zurücknehmen oder zurückrufen.

Genügt das Produkt nicht den geforderten Anforderungen der zu erlassenden Rechtsverordnung, muss er die zuständige nationale Marktüberwachungsbehörde und die der EU-Mitgliedsstaaten, in der er das Produkt in Verkehr gebracht hat, unverzüglich informieren. Über gemeldete Produkte, die nicht konform waren, muss er ein Verzeichnis führen.

10. Welche besonderen Kennzeichnungs- und Informationspflichten hat ein Hersteller?

Hersteller müssen dafür Sorge tragen, dass das Produkt eine Typen-, Chargen-, und Seriennummer oder ein anderes Identifikationskennzeichen führen.

Darüber hinaus sind Name, Firma, Marke und Postanschrift auf dem Produkt anzugeben. Ist das nicht möglich, sind die Informationen auf der Verpackung oder einer beigefügten Unterlage abzugeben.

Hersteller müssen sicherstellen, dass dem Produkt eine Gebrauchsanleitung und Sicherheitsinformation in deutscher Sprache beigefügt sind.

Unabhängig davon sind Hersteller verpflichtet, der Marktüberwachungsbehörde Auskünfte zu erteilen und Unterlagen auszuhändigen, die für den Nachweis der Konformität mit dem BFSG erforderlich sind.

11. Welche Pflichten treffen Händler von Produkten?

Händler dürfen Produkte erst auf dem Markt bereitstellen, wenn

  • das Produkt mit einer CE-Kennzeichnung versehen ist
  • dem Produkt die erforderlichen Unterlagen (Gebrauchsanleitung, etc.) beigefügt sind
  • der Hersteller seine besonderen Kennzeichnungs- und Informationspflichten erfüllt hat
  • der Einführer des Produkt seine besonderen Kennzeichnungs- und Informationspflichten erfüllt hat

Hat er Grund zu der Annahme, dass das Produkt nicht konform ist, darf er das Produkt erst auf dem Markt bereitstellen, wenn die Konformität hergestellt worden ist. Er muss in diesem Fall außerdem unverzüglich den Hersteller oder Einführer und die Marktüberwachungsbehörden informieren. Er ist insoweit auch zur Zusammenarbeit mit den Marktüberwachungsbehörden verpflichtet.

12. Wann treffen den Händler oder Einführer die Pflichten eines Herstellers?

Der Händler oder Einführer tritt in die Pflichten des Herstellers ein, wenn er

  • ein Produkt unter seinem eigenen Namen oder seiner eigenen Markt in Verkehr bringt oder
  • ein bereits in den Verkehr gebrachtes Produkt so verändert, dass dessen Konformität mit den Anforderungen der auf Basis des BFSG erlassenen deutschen Rechtsverordnung beeinträchtigt werden kann.

13. Müssen die Anforderungen auch eingehalten werden, wenn damit eine wesentliche Veränderung des Produkts oder der Dienstleistung einhergeht?

Nein, die Anforderungen nach der noch zu erlassenden Rechtsverordnung gelten nur, wenn und soweit die Einhaltung keine wesentliche Änderung eines Produkts oder einer Dienstleistung erfordert (§ 16 BFSG).

Der betroffene Akteur muss in diesen Fällen allerdings eine Beurteilung vornehmen, dokumentieren und fünf Jahre ab der letzten Bereitstellung des Produkts auf dem Markt oder ab der letzten Erbringung einer Dienstleistung aufbewahren. Er muss diese Dokumentation auf Verlangen einer Marktüberwachungsbehörde vorlegen können, § 16 Abs. 2 BFSG. Dies gilt nicht für Kleinstunternehmen, die mit Produkten befasst sind. Diese sind gemäß § 16 Abs. 4 BFSG von der Dokumentationspflicht befreit. Sie müssen allerdings auf Verlangen der Marktüberwachungsbehörde die maßgeblichen Fakten der grundlegenden Veränderung mitteilen.

Beruft sich der Akteur auf eine grundlegende Veränderung, muss er unverzüglich die tangierten Marktüberwachungsbehörden unterrichten, § 16 Abs. 3 BFSG.

14. Was ist, wenn die mit der Umsetzung verbundenen Kosten außer Verhältnis stehen?

Gemäß § 17 Abs. 1 BFSG gelten die in der noch zu erlassenden Rechtsverordnung geregelten Anforderungen nur, soweit deren Einhaltung nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung im Sinne von Anlage 4 zum BFSG führt. Anlage 4 enthält einen Katalog von Kriterien, der bei der Beurteilung der Unverhältnismäßigkeit heranzuziehen ist. Zu berücksichtigen ist bspw. das Verhältnis der Nettokosten, die mit der Einhaltung der Anforderungen verbunden sind, zu den Gesamtkosten für die Herstellung, den Vertrieb oder die Einfuhr des Produkts oder die Erbringung der Dienstleistung. Stehen die Kosten der Umsetzung folglich außer Verhältnis, kann auf die Umsetzung verzichtet werden.

15. Welche Sanktionen sieht das BFSG vor?

Gemäß § 37 BFSG handelt ein Akteur bei der vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung bestimmter Pflichten ordnungswidrig. Das BFSG sieht insoweit je nach Pflichtverstoß entweder eine Geldbuße bis zu EUR 10.000,00 oder von bis zu EUR 100.000,00 vor.

 

Das Bundesamt für Arbeit und Soziales hat als Hilfestellung zu dem Thema auch einen Leitfaden für Unternehmen entwickelt.


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